Ich bin 54 Jahre alt, mache zwei mal wöchentlich Krafttraining und wandere regelmäßig. Meine Leistungsdaten im Gebirge: 1600 Höhenmeter in 4 Stunden. Gebirgserfahrung über 2500 m habe ich keine.
Im Oktober nächsten Jahres möchte ich den Annapurna Circuit in Nepal erwandern. Dies beinhaltet eine Passüberquerung in einer Höhe von 5416 Metern. Da ich gerne Land und Leute kennen lernen möchte, nehme ich mir wesentlich mehr Zeit für die Umrundung als üblich. Ich möchte mich deshalb auch keiner Gruppe anschließen sondern mit meiner Partnerin, einem Guide und zwei Träger unterwegs sein. Dies erlaubt mir zudem eine bessere Höhenakklimatisation. Geplant sind 19 Tage um eine Höhendistanz von 4600 Metern zu überwinden. Zusätzlich sind vier Akklimatisationstage in Manang (3450m) geplant wo Aufstiege auf 3800m, 4000m und 4600m geplant sind – mit täglicher Rückkehr auf die Ausgangshöhe. Der Unterschied zwischen den Übernachtungshöhen beträgt maximal 460 Höhenmeter während der ganzen Tour.
Vor 6 Jahren wurde bei mir durch einen Zufallsbefund eine schwere Mitralklappeninsuffizienz festgestellt. Die Mitralklappe wurde minimal-invasiv mittels eines Mitralklappenrings (Durchmesser 3cm) rekonstruiert . Gemäß dem Chirurgen und dem Kardiologen bin ich nun “herzgesund” und habe eine ganz normale Lebenserwartung ohne mich einschränken zu müssen. Ich musste damals postoperativ während 3 Monaten Blutverdünner einnehmen.
Im kommenden April hatte ich einen leichten Hirnschlag. Da der Mitralklappenring nicht vollständig vom Herzgewebe überwachsen wurde, hat sich am Ring ein Thrombus gebildet, der teilweise abgesprengt wurde und ins Hirn gelangte. Diese Diagnose ist eindeutig und auf den Bildern des Herzechos sichtbar (Bild mit Thrombus vor und Bild ohne Thrombus nach der Verabreichung von Blutverdünner). Von diesem Hirnschlag (oder eher Streifung im Volksmund) habe ich mich fast vollständig erholt. Den Schwindel, unter dem ich längere Zeit gelitten hatte, ist durch Akkupunktur vollständig verschwunden und ich fühle mich gesund und arbeite Vollzeit. Ich nehme seit diesem Vorfall täglich Marcoumar und mein INR-Wert ist konstant bei 2.2 stabil ohne Schwankungen.
Ist der Annapurna Circut mit diesen Vorerkrankungen machbar und medizinisch vertretbar? Wie hoch schätzen Sie die Risiken ein? Welche Auswirkung bzw. Wirkung hat Marcoumar in dieser Höhe? Mir ist eine differenzierte Expertenmeinung sehr wichtig, um das Risiko abschätzen zu können.
Antwort von Hoehenmedizin.org
Was Ihren Fitnesszustand sowie Ihre Gebirgserfahrung anbelangt, so befinden Sie sich im Range der gut trainierten Menschen, welche neben Ihrer Freizeitaktivität auch noch einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen haben.
Die Annapurna-Runde geht bis 5400m, wie Sie ja wissen und wenn Sie Wikipedia lesen, dann wissen Sie auch, dass die Region am Thorong La nicht ungefährlich ist. Es ist für Sie sicher besser, wenn Sie sich einem erfahrenen Guide und einer Gruppe anschließen. Eine ausreichende Akklimatisation ist essentiell. Die Höhendifferenz zwischen den Übernachtungen ist für die vorsichtigen Empfehlungen (300m) zwar etwas zu groß, aber andere Empfehlungen gehen von 500m aus und irgendwo muss die Tour ja zeitlich und logistisch auch machbar sein.
Wie sieht es mit Ihren kardialen Vorerkrankungen aus? Wenn Ihre korrigierte Mitralinsuffizienz nicht auf dem Boden einer Herzinsuffizienz oder einer anderen Herzmuskelerkrankung entstanden ist, dann gelten Sie nun entsprechend den Angaben Ihres Kardiologen als herzgesund.
Der Hirnschlag auf dem Boden des kardialen Thrombus muss weiterhin als eine mögliche Komplikation angesehen werden, sobald Sie die Antikoagulation weglassen. Wie Sie vielleicht auf unserer Webpage gelesen haben, steigt bei längerer Höhenexposition die Viskosität Ihres Blutes. Damit wird auch eine erhöhte Thromboembolie-Gefahr bei gesunden Menschen in der Höhe erklärt (Steigerung des Hämatokrit durch Austrocknung und Akklimatisation). Auch ohne Vorerkrankung können Sie in der Höhe also mit vermehrten Thrombosen und thrombembolischen Ereignissen rechnen. Sie müssen dementsprechend Ihre Antikoagulation während der geplanten Umrundung beibehalten.
Da die Einstellung Ihres INR-Wertes während des Trekkings schwierig werden könnte, würde man aber eher zur Antikoagulation mit sogenannten NOAKs anraten (neue orale Antikoagulanzien), z.B. Rivaroxaban.
In jedem Fall gilt selbstverständlich, dass es bei solchen individuellen Fragestellungen keine Verallgemeinerung geben kann. Wenn Sie Risiko minimieren wollten, müssten Sie mit einem medizinischen Team auf die Reise gehen. Aber das liegt selbstverständlich nicht im Rahmen der Möglichkeiten. Eine Risiko-Abschätzung, d.h. wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Sie eine ernsthafte medizinische Problematik haben, kann man unmöglich abgeben. Bis auf die oben erwähnte Pass-Region gilt die Annapurna-Runde als logistisch gut erschlossen, so dass Sie etwas schneller mit Hilfe rechnen könnten. Aber auch dann sollte man natürlich nicht innereuropäische Maßstäbe anlegen.