Ich bin Not­arzt. Bei einem Ein­satz wur­de ich in einen Klet­ter­gar­ten geru­fen, in wel­chem ein Paar klet­ter­te. Nach­dem der Mann sei­ne Part­ne­rin “Top-rope” gesi­chert hat­te, ließ er sie wie­der ab. Anschlie­ßend wur­de er bewusst­los auf Grund einer Hypo­glyk­ämie. Der Mann lei­det an einem insu­lin­pflich­ti­gen Dia­be­tes. Wäre er ein paar Minu­ten frü­her bewusst­los gewor­den, wäh­rend er sei­ne Part­ne­rin abließ, hät­te es einen töd­li­chen Unfall geben können.

Wie kann einem sol­chen Ereig­nis vor­ge­beugt wer­den? Blut­zu­cker­kon­trol­len vor Beginn der sport­li­chen Akti­vi­tät und Anpas­sung der Kohlenhydrataufnahme?

Gibt es sonst Tipps oder all­ge­mei­ne Hin­wei­se (oder Erfah­run­gen mit Unfäl­len) zu Unter­zu­cke­rung beim Bergsport?

Antwort von Hoehenmedizin.org

Um die fol­gen­den Aus­füh­run­gen rich­tig inter­pre­tie­ren zu kön­nen, soll­te man wis­sen, ob der geschil­der­te Pati­ent ein Typ 1- oder Typ 2‑Diabetiker ist. Da Sie von einem insu­lin­pflich­ti­gen Dia­be­tes berich­te­ten, hat der Mann mög­li­cher­wei­se einen Typ 1‑Diabetes. Die­se Pati­en­ten ken­nen sich nor­ma­ler­wei­se mit ihrer Erkran­kung bes­tens aus und haben heut­zu­ta­ge nicht sel­ten eine sub­ku­ta­ne Insu­lin­pum­pe, wel­che selbst­tä­tig und tages­zeit­ab­hän­gig Insu­lin verabreicht.

Um funk­tio­nie­ren zu kön­nen, ist unser Gehirn auf eine Min­dest­kon­zen­tra­ti­on Glu­co­se im Blut (Blut­zu­cker = BZ) ange­wie­sen. Der Trans­port des BZ in die Hirn­zel­len erfolgt kon­zen­tra­ti­ons­ab­hän­gig mit­tels eines Glu­co­se-Trans­por­ters und ist NICHT auf Insu­lin ange­wie­sen. Wenn der BZ unter einen bestimm­ten Wert fällt (50 mg% bzw. 2,6 Mmol), wird man Sym­pto­me der Unter­zu­cke­rung ent­wi­ckeln. Die­se sind Ner­vo­si­tät, Schweiß­aus­brü­che, rasen­der Puls, Zit­tern, Kopf­schmer­zen u.ä. Fällt der BZ wei­ter (30 mg% bzw. 1,6 Mmol), ver­liert man schnell das Bewusst­sein, so wie das im geschil­der­ten Fall offen­bar war.

Sport­li­che Akti­vi­tät hat einen sofor­ti­gen sowie einen lang andau­ern­den Stoff­wech­sel­ef­fekt. Der Sofort­ef­fekt ist ein rascher Ver­brauch von BZ durch den Mus­kel, die­ser Pro­zess kann nur bei Ver­füg­bar­keit von Insu­lin statt­fin­den. Spä­ter erfolgt eine Umwand­lung von Mus­kel­gly­co­gen in Glu­co­se zur wei­te­ren Ener­gie­be­reit­stel­lung. Aller­dings kann die­se “Mus­kel­glu­co­se” nicht nach außen trans­por­tiert wer­den, um eine Unter­zu­cke­rung zu verhindern.

Nor­ma­ler Wei­se wird die Sekre­ti­on von Insu­lin gerin­ger, sobald der BZ sinkt und der natür­li­che Insu­lin-Gegen­spie­ler Glu­ca­gon wird aus­ge­schüt­tet, um in der Leber wei­te­re Glu­co­se bereit­zu­stel­len. Je län­ger die sport­li­che Akti­vi­tät anhält, des­to mehr tritt durch die Wir­kung von Kor­ti­sol, Wachs­tums­hor­mon, Adre­na­lin und Nor­ad­re­na­lin der Effekt der Fett­ver­bren­nung in den Vor­der­grund. Der Net­to­ef­fekt ist eine Reduk­ti­on der Glu­co­se-Auf­nah­me­ka­pa­zi­tät durch den Mus­kel und eine Fett­ver­bren­nung durch die gerin­ge­re Aus­schüt­tung von Insu­lin und ein Über­wie­gen der natür­li­chen Gegenhormone.

Wie bei gesun­den Indi­vi­du­en hat sport­li­che Akti­vi­tät auch bei Dia­be­ti­kern eine Sofort­wir­kung und einen lang anhal­ten­den Effekt. Die phy­sio­lo­gi­sche Ant­wort auf kör­per­li­che Akti­vi­tät ist jedoch bei Pati­en­ten mit Typ 1‑Diabetes modi­fi­ziert, abhän­gig von der aktu­el­len Blut-Insu­lin­kon­zen­tra­ti­on und der kürz­lich ver­ab­reich­ten Insulin­do­sis. Gut ein­ge­stell­te Typ 1‑Diabetiker haben bei sport­li­cher Akti­vi­tät einen deut­lich stär­ke­ren BZ-Abfall als gesun­de Per­so­nen. Fol­gen­de Fak­to­ren tra­gen hier­zu bei:

  • Bereits appli­zier­tes exter­nes Insu­lin kann nicht “aus­ge­schal­tet” wer­den und die Auf­nah­me von BZ durch den Mus­kel hält an, wäh­rend der Glu­co­se-Aus­stoß durch die Leber ver­hin­dert wird.
  • Höhe­re Kör­per­tem­pe­ra­tur und stär­ke­re Durch­blu­tung, wie sie beim Sport nor­mal sind, erhö­hen die Insu­lin­ab­sorb­ti­on aus den sub­ku­ta­nen Depots. Dies trifft beson­ders dann zu, wenn die Injek­ti­on erst kürz­lich erfolg­te und in einem Gebiet mit hoher Mus­kel­ak­ti­vi­tät liegt oder ver­se­hent­lich sogar intra­mus­ku­lär appli­ziert wurde.

Die lang­zei­ti­gen Effek­te lie­gen bei Typ 2‑Diabetikern in einer bes­se­ren BZ-Kon­trol­le sowie einer Ver­bes­se­rung der Herz-Gefäß-Risi­ko­fak­to­ren. Aller­dings ist die Nach­hal­tig­keit die­ser Effek­te nur dann gege­ben, wennauch wei­ter­hin sport­li­che Akti­vi­tä­ten betrie­ben wer­den, was bei die­sem Pati­en­ten­kol­lek­tiv nicht immer der Fall ist. Im Gegen­satz dazu ist eine ver­bes­ser­te BZ-Kon­trol­le bei regel­mä­ßi­ger sport­li­cher Tätig­keit von Typ 1‑Diabetikern nicht nach­ge­wie­sen, da die­ses Pati­en­ten­kol­lek­tiv nicht Insu­lin-resis­tent ist und daher auch kei­ne Ver­bes­se­rung der Insu­lin­an­sprech­bar­keit erfolgt.

Pati­en­ten mit Typ 1‑Diabetes kön­nen stärks­ten kör­per­li­chen Anstren­gun­gen aus­ge­setzt wer­den, wie z.B. Extrem­wett­kämp­fen (Tri­ath­lon). Die­se sport­li­chen Akti­vi­tä­ten soll­ten jedoch immer zu glei­cher (gewohn­ter) Tages­zeit und in enger zeit­li­cher Bezie­hung zu Mahl­zei­ten und Insu­lin­in­jek­tio­nen erfol­gen. Auf die­se Wei­se sind die Ver­än­de­run­gen des BZ in der Regel genau vor­her­sag­bar. Ein inad­äqua­ter Ersatz der Koh­len­stof­fe vor, wäh­rend und nach kör­per­li­cher Akti­vi­tät ist der häu­figs­te Grund für eine Sport-asso­zi­ier­te Hypo­glyk­ämie bei Typ 1‑Diabetikern. Für die­se Pati­en­ten gilt neben genau­es­tem BZ-Moni­to­ring vor, wäh­rend und nach sport­li­cher Aktivität:

  • Aus­rei­chen­de Flüs­sig­keits­auf­nah­me vor, wäh­rend und nach dem Sport
  • Wenn der BZ vor dem Sport <100 mg/dL (5.6 mmol/L) beträgt, soll­ten zusätz­lich 15–30g leicht ver­dau­li­che Koh­len­hy­dra­te auf­ge­nom­men wer­den, und zwar 15–30 min vor dem Sport sowie alle 30 min wäh­rend der Aktivität
  • Lang­sam absor­bier­ba­re Koh­len­hy­dra­te nach dem Sport ein­neh­men, z.B. Trockenobst
  • Die Insulin­do­sis, wel­che wäh­rend der Peri­ode sport­li­cher Akti­vi­tät wirk­sam ist, soll­te um 30% redu­ziert wer­den, ins­be­son­de­re dann, wenn die Tätig­keit län­ger als eine Stun­de dauert.
  • Die Insu­lin­in­jek­ti­on soll­te an einer Stel­le getä­tigt wer­den, die nicht in unmit­tel­ba­rer Nähe zu den bean­spruch­ten Mus­keln liegt (beim Sport­klet­tern nicht prak­ti­ka­bel, da alle Mus­kel­grup­pen aktiv sind).
  • Die Insu­lin­in­jek­ti­on soll­te min­des­tens 60 bis 90 min vor der Akti­vi­tät appli­ziert werden.

Lite­ra­tur

  • Temp­le MY, Bar-Or O, Rid­dell MC. The relia­bi­li­ty and repea­ta­bi­li­ty of the blood glu­co­se respon­se to pro­lon­ged exer­cise in ado­le­s­cent boys with IDDM. Dia­be­tes Care. 1995;18(3):326
  • Soo K, Fur­ler SM, Sama­ras K, Jenk­ins AB, Camp­bell LV, Chis­holm DJ. Gly­ce­mic respon­ses to exer­cise in IDDM after simp­le and com­plex car­bo­hy­dra­te sup­ple­men­ta­ti­on. Dia­be­tes Care. 1996;19(6):575
  • Grimm JJ, Ybar­ra J, Ber­néC, Much­nick S, Golay A. A new table for pre­ven­ti­on of hypo­gly­cae­mia during phy­si­cal acti­vi­ty in type 1 dia­be­tic pati­ents. Dia­be­tes Metab. 2004;30(5):465
  • Koi­vis­to VA, Felig P. Effects of leg exer­cise on insu­lin absorp­ti­on in dia­be­tic pati­ents. N Engl J Med. 1978;298(2):79
  • Koi­vis­to VA, Felig P. Altera­ti­ons in insu­lin absorp­ti­on and in blood glu­co­se con­trol asso­cia­ted with vary­ing insu­lin injec­tion sites in dia­be­tic pati­ents. Ann Intern Med. 1980;92(1):59
  • Col­berg SR, Sig­al RJ, Fern­hall B, Regen­stei­ner JG, Blissmer BJ, Rubin RR, Cha­san-Taber L, Alb­right AL, Braun B, Ame­ri­can Col­lege of Sports Medi­ci­ne, Ame­ri­can Dia­be­tes Asso­cia­ti­on. Exer­cise and type 2 dia­be­tes: the Ame­ri­can Col­lege of Sports Medi­ci­ne and the Ame­ri­can Dia­be­tes Asso­cia­ti­on: joint posi­ti­on state­ment. Dia­be­tes Care. 2010 Dec;33(12):e147-67

Hin­weis: Alle Namen wur­den aus recht­li­chen Grün­den von der Redak­ti­on geändert/entfernt.


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