Sehr geehrte Damen und Herren
vor einem Jahr habe ich beim Höhenbergsteigen Symptome an meiner Zunge bemerkt, die später als rechtseitige Hypoglossusparese diagnostiziert wurden. Die Ursache konnte auch während eines stationären Aufenthaltes in der Uniklinik Mainz nicht ermittelt werden, seither ist aber eine leichte Besserung eingetreten. Meine Frage konzentriert sich nun darauf, ob ich ohne Bedenken wieder in die Höhe gehen kann, und ob es weitere Möglichkeiten zur Diagnose oder Behandlung gibt.
Details:
Ich bin 41 Jahre alt, Berufspilot und Hobbybergsteiger mit Expeditionserfahrung, und frei von Vorerkrankungen. Meine bislang anspruchsvollsten Unternehmungen in der Höhe waren Denali und Cho Oyu. Bislang ist mir der Aufenthalt in der Höhe gut bekommen, ich hatte keine Symptome, welche auf ein Höhenödem hindeuteten. Gleichwohl sind mir leichte Kopfschmerzen bei (zu) schnellen alpinen Unternehmungen bekannt.
Im August 2013 habe ich mit zwei sehr leistungsstarken Freunden eine Überschreitung des Kilimanjaro unternommen, auf einer neuen, langen Route von Nordwesten über den Gletscher («Thomas-Glacier-Route»). Wir hatten uns zuvor am Mt. Kenya gut akklimatisiert, ich habe mich auf der ganzen Tour und danach sehr fit gefühlt (z.B. keine Kopfschmerzen), bin allerdings ein für mich recht hohes Tempo gegangen. Im Gipfelbereich bemerkte ich, dass ich nicht mehr richtig sprechen konnte, die Zunge war nur auf der linken Seite zu bewegen. In der Situation – nach 8 Stunden atmen an der Leistungsgrenze – habe ich dem keine zu grosse Bedeutung beigemessen, und nach dem Abstieg über 3000 hm konnte ich auch besser sprechen. Ein Zittern in der rechten Zungenhälfte blieb, aber auch das habe ich zunächst nicht untersuchen lassen, da ich eher einen Zusammenhang mit einer Zahnbehandlung vor der Reise vermutete (vorsorglicher Austausch von zwei sehr alten Amalgamfüllungen).
Im Februar 2014 hat der Fliegerarzt bei einer Routineuntersuchung die Faszikulationen und Muskelatrophie in der rechten Zungenhälfte festgestellt und weitere Untersuchungen veranlasst. Das MRT war vollkommen unauffällig, die Ärzte haben keinen Hinweis auf einen Tumor oder eine abgelaufene Dissektion gefunden. In der Uniklinik Mainz wurden stationär verschiedene neurologische Untersuchungen und eine Lumbalpunktion vorgenommen, ausserdem eine Ultraschall-Untersuchung von Hals und Kehlkopf. Hinweise auf die Ursache haben sich hierbei nicht ergeben.
Zur Förderung der Reinnervation hat der Hausarzt hohe Dosen aus dem Vitamin B‑Komplex gespritzt. Es hat sich eine weitere leichte Besserung ergeben, die Faszikulationen treten aktuell nur bei Herausstrecken der Zunge am rechten Zungenrand auf. Eine neurologische Nachuntersuchung im August 2014 war unauffällig, ich fühle mich fit und gesund.
Auf der ersten und einzigen Bergtour nach dieser Reise hatte ich nach dem schnellen Auf- und Abstieg auf 3500m Kopfschmerzen, wenig überraschend aber für meine Verhältnisse relativ stark, und zwar ausschliesslich auf der rechten Seite. Wahrscheinlich beobachte ich dies jetzt besonders genau, aber ich möchte fragen: Sind in der Höhenmedizin Mechanismen bekannt, welche eine derartige Nervenschädigung verursachen könnten? Haben Sie weitere Ideen, Fragen oder diagnostische Möglichkeiten?
Vielen Dank für ihre Bemühungen!
Mit freundlichen Grüssen
Bernd Friedmann
Antwort der Redaktion
Sehr geehrter Herr Friedmann,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Sie berichten über die klinische Symptomatik einer einseitigen Hypoglossusparese bei einer anstrengenden Hochgebirgstour auf ca. 6000m Höhe. Die Höhe als alleinige Ursache dieser Problematik erscheint extrem unwahrscheinlich, da die hypobare Hypoxie, wie sie in dieser Höhe vorliegt, schwerlich nur einen einzigen Hirnnervenkern betroffen haben kann. Sie müssten Symptome auch in anderen Hirnregionen gehabt haben. Aber so wie ich Ihren präzisen Bericht interpretiere, war dem nicht so. Ihre Symptome deuten zudem auf eine periphere Schädigung des Nerven hin: Faszikulationen und spätere halbseitige Zugenmuskulaturatrophie. Damit sind alle Prozesse zu suchen, die ab der hinteren Schädelgrube auftreten, zum Beispiel eine Rachen- oder Mittelohrentzündung auf dieser Seite.
Wenn die Problematik so akut auftritt, sind Tumore im Verlauf der Nerven sehr unwahrscheinlich und damit eher entzündliche oder mechanische Ursachen anderer Art verantwortlich zu machen. Die Kollegen der Universitätsklinik Mainz haben da diagnostisch schon ganze Arbeit geleistet, dem bleibt eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Im MRT kann man den ganzen Nervenverlauf sichtbar machen und mit Kontrastmittelaufnahmen auch Veränderungen im Rahmen eines entzündlichen Prozesses diagnostizieren. Bei einem unauffälligem MRT ist auch ein abgelaufener Schlaganfall eher ausgeschlossen.
Es bleiben noch die «Zebras unter den Pferden»: Druckschädigung von aussen, z. B. ein zu eng angezogener Helmriemen oder Ähnliches.
Daher ist die Antwort auf Ihre Frage: Nein, es sind keine höhenmedizinischen Erkrankungen bekannt, die diese Symptomatologie hervorrufen.
Herzlich
Eckehart Schöll