Sehr geehrter Herr Schöll
Zur Gestaltung des Aufstiegs bei Bergtouren lassen sich in öffentlich zugänglichen Quellen viele Ratschläge finden. Leider ist es als Laie schwierig, Informationen darüber zu finden, wie lange eine Höhenanpassung erhalten bleibt, wenn man vorübergehend auf eine sehr viel geringere Höhe wechselt. Können Sie mir bitte Hinweise oder Quellen zu diesem Thema geben?
Ich mache mir Gedanken wegen des aus reisetechnischen Gründen möglicherweise sehr ungünstigen Höhenprofils meiner nächsten Reise.
Reiseprogramm: Reise durch Bolivien und Peru; 11 Tage Aufenthalt in Höhen zwischen 3000m und 4500m; kein reiner Aufstieg, sondern auf und ab der Landschaft folgend. Ende des 1. Reiseteils in Lima (0m/Aufenthalt dort ca. 36 Stunden.
Dann Flug nach Arequipa (2350m), von dort Besteigung des El Misti (5822m) angestrebt. Aufstieg am ersten Tag 3400m – 4600m, zweiter Tag zum Gipfel (geführte Standardtour). In Arequipa ist wegen des Umfeldes (Strassenverhältnisse, Sperrgebiete, No-goarea etc.) keine praktikable Vorbereitungstour auf über 3000m möglich.
Persönliche Erfahrungen in der Höhe: Vor mehreren Jahren Kilimanjaro-Besteigung auf 4700m abgebrochen wegen vermuteter Anfangssymptome einer akuten Höhenkrankheit (AMS) – vor allem Erbrechen. Letztes Jahr in Ecuador nach 8 Tagen in 2800m eine Höhe von 4200m mühelos und mit Vergnügen auch 5000m erreicht.
Ohne die Station in Lima wäre ich sehr zuversichtlich, eine Gipfelchance zu haben, meine Frage ist, wie schädlich sind die 36 Stunden auf Meereshöhe?
Für Ihre Mühe im voraus schon mal vielen herzlichen Dank!
Mit freundlichen Grüssen
Stefan Gottlieb
Antwort der Redaktion
Sehr geehrter Herr Gottlieb
Herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Eigentlich ist die Internet-Community immer recht schlau und den freien Online-Lexika kann man meistens trauen. Wenn die Aussagen sich unterscheiden, dann in der Regel deshalb, weil wir uns hier in einer Grauzone bewegen.
Prinzipiell muss man sagen, dass kein Mensch genauso auf die Höhe reagiert wie ein Anderer, da gibt es immer Unterschiede. Und es gibt sogar verschiedene Reaktionen bei einem Einzelindividuum. Wenn Sie einmal eine problematische Höhe ohne Symptome erlebt haben, heisst das noch nicht, dass Sie ein anderes Mal ebenfalls beschwerdefrei bleiben.
Eine Akklimatisation wird durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Organsysteme bewirkt, vor allem Lunge, Herz, Nieren und Blut. Hierdurch wird die Balance der Säuren und Basen in Ihrem Körper korrigiert, das Sauerstoffdefizit im Transportmedium Blut ausgeglichen sowie die Herz- und Lungenleistung erhöht. Akklimatisieren müssen Sie sich in der Regel oberhalb von 2500m, dieser Vorgang kann bis zu einer Woche andauern und die körperlichen Veränderungen halten danach auch etwa ebenso lange an. Oberhalb von 5300m ist eine Akklimatisation nicht mehr möglich.
Zu Ihrer Reise: Wenn Sie 11 Tage durch Bolivien und Peru gereist sind, dann sind Sie zweifelsfrei für diese Höhen akklimatisiert. Die 36 Stunden in Lima ändern daran nichts, das ist offenbar Ihre Hauptsorge. Und wenn Sie den ersten Tag am Misti sind, befinden Sie sich ja genau wieder auf der Höhe, die Sie in den Tagen davor hatten. Bis dahin sehe ich keine Probleme. Am Gipfeltag werden Sie dann auf eine Höhe vordringen, für welche Sie nicht akklimatisiert sind. Das machen im Übrigen die meisten Gipfelstürmer in den Schweizer Alpen auch: z. B. Leben und arbeiten im Grossraum Bern-Basel-Zürich und zum Wochenendtrip auf die Signalkuppe. Ganz ohne Höhenprobleme geht das zwar meistens nicht, aber so ist das eben.
Die Ursache für Gesundheitsprobleme in diesen Höhen ist in der Regel das «Zu-schnell-zu-hoch». Daher ist es trotz allem wichtig, dass Sie auf Ihren Körper hören und gegebenenfalls einen Tag Pause machen oder eben umdrehen.
Herzlich
Eckehart Schöll
Akklimatisationsregeln
-Ab 2500 m die Schlafhöhen bis maximal 600 m/Nacht erhöhen
‑Vermeiden grosser körperlicher Anstrengungen
‑Pro 1200 m Höhengewinn einen Ruhetag einlegen
Höhenprobleme und Therapie auf einen Blick
Erste Symptome (Kopfweh, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schlaflosigkeit):
– Ruhetag
– Paracetamol oder Ibuprofen gegen die Symptome einnehmen
– Beginn mit Acetazolamid 250 – 500 mg überlegen
Schwere Symptome mit Höhenhirnödem (schweres Kopfweh, das nicht auf Paracetamol oder Ibuprofen anspricht, Erbrechen, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Bewusstseinstrübungen und Bewusstlosigkeit):
– Abstieg, Abtransport, Sauerstoffgabe
– Dexamethason 8 mg als Tabletten oder intravenös, dann Dexamethason 4 mg alle sechs Stunden
– Behandlung im Überdrucksack
Schwere Symptome mit Lungenödem (Atemnot, rasselnde Atemgeräusche, Blauverfärbung des Gesichts, schnelle Atmung):
– Abstieg, Abtransport, Sauerstoffgabe
– Adalat retard 20 mg alle sechs Stunden
– Behandlung im Überdrucksack
Notfallsituation mit schweren Symptomen:
– Abstieg, Abtransport, Sauerstoff
– Dexamethason, plus Adalat plus Acetazolamid